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Ich möchte hier mal einiges beschreiben, was den meisten vielleicht gar nicht bekannt oder bewusst ist. Gerade, wenn das Leben entsteht ist der kleine Mensch sehr sensibel für seine Außenwelt und wird von ihr dementsprechend geprägt. Nehmen wir einmal an eine Frau ist schwanger, seelisch gesund, erlebt während der Schwangerschaft keine extremen Situationen und die Geburt verläuft optimal ohne Schmerzmittel. Wenn es so abläuft haben wir einen Säugling, der sich im Mutterbauch schon wohlgefühlt hat, weil die zukünftige Mutti auch noch warme, fürsorgliche Gefühle für ihr Ungeborenes hatte. Gesetzt den Fall, dass die Eltern dann auch adäquat auf die Befindlichkeiten des Neugeborenen reagieren und es mit Liebe, Geborgenheit und Sicherheit umgibt, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass ein Mensch mit einem Urvertrauen ins Leben heranwächst.

Was aber passiert, wenn es nicht so optimal Verläuft?

John Bowlby hat die Bindungstheorie entwickelt und hat große Resonanz in der Entwicklungspsychologie gefunden. Erste Forschungen, in denen er Lebensläufe von psychisch schwer gestörten Kindern und Jugendlichen  studierte, ergaben, dass er immer wieder auf frühkindliche, extreme Traumatisierungen gestoßen war und diese auf die Entwicklung der Persönlichkeit bedeutungsvoll waren. Vor allen Dingen waren, neben anderen traumatischen Ereignissen, in den Lebensgeschichten viele frühe Versluste und Trennungen von Bezugspersonen zu erkennen. Diese klinische Entdeckung war sozusagen die Geburtsstunde der Bindungstheorie, die auch von Prof. Dr. Ruppert, München, aufgenommen und in die mehrgenerationale Psychotraumatologie aufgenommen wurde.

Bowlby postulierte, dass es ein biologisch angelegtes System der Bindung gebe, das verantwortlich dafür ist, dass sich eine starke emotionale Bindung zwischen Mutter und Kind entwickelt.

Demnach sind Mutter und Kind Teilnehmer eines selbst regulierenden Systems, die sich gegenseitig und wechelseitig bedingen. Die Bindung zwischen Mutter und Säugling ist ein Teil ihrer Beziehung zueinander.

Das Bindungssystem stellt ein primäres, genetisch verankertes motivationales System dar, was nach der Geburt aktiviert wird und für die Überlebenssicherheit sorgt. Ein wichtiges Hormon, Oxitocin, das für die Rückbildung der Gebärmutter und für den Milchfluss sorgt, wird schon während der Schwangerschaft gebildet. Es fördert vermutlich die Bindung der Mutter zum Fetus, dann zum Kind und vom Säugling an die Mutter. Es fördert auch nach der Geburt das Gefühl sich aneinander nahe sein zu wollen. Der Säugling sucht die Nähe seiner Mutter, wenn er Angst erlebt. Dort erhofft er sich Sicherheit, Geborgenheit und Schutz. Die Nähe wird durch Blickkontakt, Nachfolgen und Körperkontakt hergestellt. Das Kind ist ein Interaktionspartner, das seine Bedürfnisse nach Nähe und Schutz befriedigt haben möchte. Die Feinfühligkeit oder das adequate Verhalten der Bezugsperson zeigt sich, in dem die Signale des Kindes wahrgenommen und richtig interpretiert werden, sowie angemessen und prompt reagiert wird. So wird eine sichere Bindung etabliert. Dem gegenüber entwickelt sich eine unsichere Bindung, wenn die Bedürfnisse des Kindes gar nicht, unzureichend, inkonsistent z.B im Wechsel zwischen Verwöhnung und zu viel Stimulation unvorhersehbar erscheint oder zu großer frustierender Versagung führt. Steht die Hauptbezugsperson bei drohender Gefahr nicht zur Verfügung oder ist von ihr getrennt (Kummer, Weinen, Wut)  sucht das Kind aktiv nach einer Bindungsperson.  Im ersten Lebensjahr bildet der Säugling ein Hierarchiesystem von Bezugspersonen aus, je nach Verfügbarkeit und dem Ausmaß der Trennungsangst. Ist die Mutter mal nicht erreichbar, dann greift das Kind für die gefühlsmäßige Versicherung auf eine weitere Bezugsperson zurück, z. B. den Vater. Je größer die Gefahr für das Kind ist, desto eindringlicher und kompromissloser wird es auf die Nähe der primären Bezugsperson bestehen und sich nicht von einer sekundären Bezugsperson trösten lassen. So kann es passieren, dass eine feinfühlige Erzieherin vom Kind als eine sichere und bevorzugte Hauptbindungsperson angesehen wird. Das bedeutet bei großer Angst, dass sich das Kind an diese Personen wenden wird, sich bei Abholsituationen an die Person klammert und nicht mit der Mutter nach Hause gehen will. So bildet sich im ersten Lebensjahr ein inneres Modell des Verhaltens, von den ganzen Trennungen und Näheaktionen, und der damit  einhergehenden Affekten (Gefühlserregungen) von sich und der Mutter. Diese Modelle machen das Verhalten von Mutter und Kind vorhersagbar. Dabei werden für unterschiedliche Bezugspersonen auch unterschiedliche innere (Arbeits-)Modelle entwickelt. Diese Arbeitsmodelle, zunächst noch recht flexibel, werden im weiteren Entwicklungsverlauf stabiler, bis sie seelische Anteile bilden, den sogenannten Bindungsrepräsentationen, die teils bewusst und unbewusst sein können. Das bedeutet, eine sichere Bindungsrepräsentation bedingt eine stabile psychische Struktur. Im Lebenslauf  kann sich eine Bindungsrepräsentation noch ändern, wenn bedrohende Erlebnisse wie Verluste oder traumatische Situationen erfahren werden oder bedeutungsvolle Bindungserfahrungen mit anderen Bezugspersonen gelebt werden. Dann ist es möglich, dass sich die Bindungsrepräsentation in eine sichere oder unsichere Bindung verändert. Je älter das Kind ist, desto schwerer wird die Veränderung. Man hat festgestellt dass die Bindungsrepräsentation beim 12 Monate alten Baby und beim pubertierenden Jugendlichen meist gleich bleibt. Allerdings gibt es auch Fälle, in denen sich die Bindungsqualität im Lebenslauf ändert.

Eine sichere Bindung ist praktisch die Voraussetzung, dass ein Säugling sein Umfeld erforschen kann. Das bedeutet, ab 7-8 Monate ist es notwendig, mit der motorischen Entwicklung, dass die Mutter diesem “Forscherdrang” Raum gibt und andererseits Grenzen setzt. Dabei muss sie immer als sicherer Anker zur Verfügung stehen, wenn das Kind Angst bekommt und gefühlsmäßig da sein, dass sich das Kind angenommen fühlt. Diese selbststeuerung des Kindes bzgl. Nähe und explorativer Distanz wird feinfühlig von der Mutter akzeptiert.

Entstehung und Auswirkungen von Bindungsstörungen

In klinischen Stichproben wurde festgestellt, dass verschiedene Bindungsstörungen aus den tiefgreifenden Veränderungen der Bindungsentwicklung zurückzuführen ist. Das bedeutet, frühe Bedürfnisse nach Nähe, Geborgenheit und Schutz bei Bedrohung und in ängstigenden Situationen in extremen Ausmaßen, wurden nicht gleichermaßen, unzureichend oder widersprüchlich beantwortet. So etwas kann sich bei oftmaligen Trennungen des Bezugssystems, bei psychisch kranken Eltern oder bei großer chronischer solzialer Belastungen (Armut, Arbeitsplatzverlust, Pflege eines verwandten,…) der Eltern entwickeln.

Diese Vernachlässigung hat auch später noch Folgen, in denen das Kinde Aufmerksamkeitsstörungen zeigt, überaktiv ist und Störungen im Verhalten zeigt, die dem autistischen Krankheitsspektrum ähneln. Diese Ergebnisse entstanden in einer längsschnittlichen Untersuchung der emotionalen Entwicklung von Säglingen und Vorschulkindern, die unter schweren emotionalen Vernachlässigungen aufwuchsen. Das sind also Studien, die in der Praxis gesammelt wurden und nicht auf theoretischer Basis entwickelt wurden. Hier aus “Wikipedia” zum Thema Deprivation: – Auf der Basis von klinisch-psychologischen Forschungen zeigen sich bei Kindern mit Mutterentbehrung häufiger Depressionen, Defizite in der Sprachentwicklung, Persönlichkeitsstörungen und Jugendkriminalität. –

Es zeigte sich also eine hohe Stabilität für die verhaltensauffällige Symptomatik von ADHS.Das bedeutet, je länger eine Erfahrung von Deprivation anhielt, desto stärker und ausgeprägter waren die Symptome der ADHS. Diese gefundenen Ergebnisse konnten nicht durch schlechte Ernährung, Gendefekte, niedriges Geburtsgewicht oder kognitive Defizite erklärt werden (Kreppner, et al., 2001).

Die klinische Erfahrung zeigt weiter, dass Kinder mit Bindungsstörungen gehäuft traumatische Erfahrungen durchgemacht haben und oft in Beziehungen desorganisiertes Verhalten zeigen, die der ADHS gleichen.

Haben diese traumatischen Erfahrungen über mehere Jahre bestand, können sich daraus Bindungsstörungen entwickeln (z.B. Missbrauch, Deprvation, Misshandlung, Trennungen, ..). Die Verzerrungen im Verhalten des Kindes lassen die Bindungsbedürfnisse nicht mehr erkennen. Im schlimmsten Fall werden seelisch krankhafte Muster etabliert.

Aus diesen Betrachtungen folgernd, können diese Verhaltensweisen und ADHS die Anzeichen einer beginnenden Bindungsstörung darstellen. In den sozialen Beziehungen entstehen also immer mehr Störungen und verstärken sich selbst. Dieses Bindungsmuster, ebenso wie ADHS, führen zur sozialen und emotionalen Ablehnung des Kindes in Gruppen, Ausgrenzung, Reeglementierungen, aggressiven Auseinandersetzungen, sodass sich auf einer anderen Ebene eine Kontroll- und Strukturierungssystem aufbaut. Unter diesen Bedingungen werden die Bindungsbedürfnisse des Kindes gegenüber Eltern, erzieher und Lehrern nicht mehr wahrgenommen. Das erklärt auch, warum Therapien auf der Verhaltensebene nur kurzfristig greifen, die vermutete Ursache der Bindungsentwicklung aber nicht berücksichtigen. Auch die Anteile der Bezugspersonen wie Eltern, Erzieher und Lehrer stehen nicht mehr im Fokus der Diagnostik und Verfestigung der Symptomatik, sondern nur noch das Kind, das als “krankhaft” gestempelt wird.

Aus Wikipedia: Eine in Australien durchgeführte Studie an 1400 Kindern länger arbeitender Väter kommt zu dem Ergebnis, dass Kinder die fehlenden Bezugspersonen suchen und Söhne verstärkt an fehlenden Vätern leiden und Aggressionen sowie nach innen gerichtete Verhaltensauffälligkeiten belegt wurden.